Fehlende Perspektiven
Jedes Jahr schreibt Jamie Dimon einen viel beachteten Brief an die Aktionäre von J.P. Morgan. Der Brief erhält fast so viel Aufmerksamkeit wie Zinsentscheidungen der Zentralbanken, denn es geht immer um mehr als nur die Performance der Bank. Es geht um die Weltwirtschaft, aber auch um die strukturellen Herausforderungen, vor denen das Unternehmen und auch die Vereinigten Staaten als solche stehen.
In Deutschland ist das anders. So mag eine Äußerung eines DAX-40 Vorstands gelegentlich flüchtige Debatten anstoßen. Doch lässt sich der Eindruck nicht vermeiden, dass Diskussionen um den Zustand der Wirtschaft
ohne Stimmen aus der Wirtschaft geführt werden. Umso mehr gilt das für kleine und mittlere Unternehmen, die erst recht um die Wahrnehmung ihrer Herausforderungen kämpfen. Ihre Vertretung bleibt den Verbänden vorbehalten, die ihrerseits Schwierigkeiten haben, angemessenen Platz im medialen Diskurs zu finden.
Wir wollen das ändern: Wir legen offen, welche makroökonomischen und politischen Herausforderungen uns beschäftigen. Wir hoffen, damit zu einer Stärkung liberaler Stimmen im wirtschaftspolitischen Diskurs beizutragen. Wo also stehen wir? Wir sind in mehrerlei Hinsicht pessimistisch.
Vor allem international ist für die deutsche Wirtschaft Gegenwind zu erwarten. Eine Zuspitzung der geopolitischen Situation wird den internationalen Handel weiter gefährden. Die Economist Intelligence Unit (EIU) erwartete die Einführung amerikanischer Zölle zunächst erst gegen Ende 2025, und signifikant unter dem von US-Präsident Trump angekündigtem Level von 25%. Gerechnet hatte die EIU zunächst mit Zöllen um 5-10%. Die ersten Zölle kamen allerdings keine vier Wochen nach Amtsantritt. Dass der Geschäftsklimaindex deutlich negativ ausschlägt, ist wenig überraschend.
Trump verfolgt seine Agenda wesentlich organisierter und auch viel entschlossener als in der ersten Amtszeit. Jede Hoffnung auf Moderation ist Fehl am Platz. Die wirtschaftlichen Ziele der US-Administration sind mit denen der Exportnation Deutschland kaum kompatibel. Das im deutschen Diskurs genährte Narrativ der Globalisierungskritik ist zwar anschlussfähig an die Trump-Agenda. Es gibt allerdings keinen Zweifel, dass Deutschland daran Schaden nehmen wird. Die Entschlossenheit der Trump-Administration setzt sich aber ab von der politischen Lethargie in Deutschland.
Bei wirtschaftlicher Rezession und Lethargie
Der hiesige Stillstand zeigt sich auch in der Größe der Wirtschaft: Während die deutsche Wirtschaft gerade erst ihr Niveau von 2019 wiedererreicht hat, ist die amerikanische Wirtschaft 15% größer als noch 2019. Die in den Vereinigten Staaten nun angestoßene De-Bürokratisierung wird den Abstand eher vergrößern. Wir teilen daher auch nicht die Wirtschaftswachstumserwartung der Banken, sondern gehen für dieses Jahr von einer Schrumpfung der Wirtschaft aus, die nächstes Jahr bestenfalls in Stagnation mündet.
Das führt zu einer gesellschaftlichen Schieflage: Dem Gefühl Kraft eigener Arbeit nicht mehr vor die Welle gelangen zu können. Das Land erreicht mit immer mehr Umverteilung immer weniger Verteilungsgerechtigkeit. Die eigene Arbeit ist immer seltener Mittel zur sozialen Mobilität. Und während der Bedarf einer gesellschaftspolitischen Korrektur wächst, hat der Staat größeren Ehrgeiz an den Tag gelegt, den Staat als einziges Instrument der sozialen Mobilität zu etablieren und an die Stelle der Wirtschaft treten zu lassen. Dass jede staatliche Intervention Ineffizienzen im Markt fördert und nicht behebt, geht dabei verloren. Die eigentlich notwendigen Diskussionen – Erhöhung des Renteneintrittsalters, Strukturreformen bei Rente und Krankenversicherung – waren auch im Wahlkampf abwesend.
Mit jeder Steuer- und Abgabenerhöhung wird diese, wirtschaftlich wie gesellschaftlich, ungesunde Entwicklung vertieft. Als Arbeitgeber trifft uns das immer doppelt: Die Abgabenlast steigt auf unserer Seite, das sinkende Nettogehalt erhöht die Erwartungshaltung steigender und den Kaufkraftverlust ausgleichender Löhne. Doch mit sinkender Marge ist das immer weniger zu realisieren. Große Unternehmen, die Skalierungsvorteile genießen, können das in der Konkurrenz um Arbeitskräfte nutzen. Jede Abgabenerhöhung ist daher für uns ein weiterer Wettbewerbsnachteil gegenüber großen Konkurrenten. Das gilt analog auch für jede neue Regulierung, die kleinere Unternehmen immer härter trifft. In letzter Konsequenz sind die höheren Abgaben und daraus resultierenden geringeren Margen auch investitionshemmend: Investitionen, gerade kreditfinanzierte, lassen sich so schwerer finanzieren und brauchen länger, um sich zu amortisieren.
Von außen- und sicherheitspolitischen Krisen
Noch härter sind die außenpolitischen Herausforderungen. Die 2022 von der Bundesregierung attestierte Zeitenwende hätte einen Paradigmenwechsel in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik einleiten müssen. Wenn die Zeiten sich wenden, das Land also keine Friedensdividende mehr erwarten kann, vielmehr totalitärer Aggression gegenübersteht, wäre nicht weniger zu erwarten.
Stattdessen entpuppt sich das mit der Zeitenwende verkündete Sondervermögen eher als ein Ablasshandel. Einmal versprochen, erlaubt sie die Rückkehr in die Welt der Friedensdividende, in eine Welt des Zögerns, Aussitzens und Vertagens. Schon der Begriff des Sondervermögens legt nahe, dass es sich um eine Besonderheit handelt, nicht um die Antwort auf veränderte Rahmenbedingungen. Er illustriert schon sprachlich das Gegenteil einer Zeitenwende. Dabei ist klar, dass das Land sich in einer systemischen Konfrontation mit autoritären und totalitären Staaten befindet und die Verbündeten Europas nicht länger entschlossen an unserer Seite stehen. Auch wenn die Verteidigungsausgaben steigen, im Verhältnis zur Bedrohung und Sicherheitslage lässt sich kein Paradigmenwechsel erkennen.
Brüssel und Berlin haben es gleichermaßen unterlassen, Ideen und Pläne für die Unterstützung der Ukraine, den zukünftigen Umgang mit einem totalitären und aggressiven Russland und den Ausfall der Vereinigten Staaten zu entwickeln. Dass der Bundeskanzler der Ukraine einerseits keinen Sieg wünscht, aber es zum Ziel erklärt, die Ukraine solle nicht verlieren, zeigt die habituelle Neigung zum Erhalt des status quo und der damit verbundenen Hoffnung auf folgenloses Handeln.